Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Tag: Steuerhinterziehung

  • Cum-Ex-Leerverkäufe und Steuerhinterziehung – Einziehung bei verjährten Steuerforderungen auch rückwirkend zulässig

    Die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf der Grundlage von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften ist Steuerhinterziehung. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am 28.07.2021, 1 StR 519/20. Zugleich hatte der BGH über die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Einziehung von Taterträgen zu entscheiden.

    Cum-Ex-Leerverkäufe und Steuerhinterziehung

    Das Thema „Cum-Ex“ ist komplex. Der BGH entschied in einem speziellen Fall, dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer auf Basis von Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften Steuerhinterziehung darstellt. Es handelt sich um unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wodurch ungerechtfertigte Steuervorteile im Sinne von § 370 Abs. 4 S. 2 AO erlangt wurden. Damit bestätigte der BGH die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn, 18.03.2020, 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19).

    Einziehung auch rückwirkend zulässig

    Hat der Straftäter oder ein Dritter (hier: eine Bank) durch die Straftat einen Vermögensvorteil (hier: Kapitalertragsteuererstattung als ungerechtfertigter Steuervorteil) erlangt, dann soll er diesen nicht behalten dürfen. Der Vermögensvorteil wird ihm wieder weggenommen (Vermögensabschöpfung bzw. Einziehung).

    Früher war eine Einziehung nicht möglich, wenn die zugrunde liegende Steuerforderung des Finanzamtes schon verjährt war. Das stellte der BGH noch in einer Entscheidung vom 24.10.2019, 1 StR 173/19, klar. Diese Entscheidung ist jedoch überholt. Nachdem überhastet zwei „Nichtanwendungsgesetze“ erlassen wurden, ist seit dem 29.12.2020 eine Neuregelung in § 73e Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) in Kraft, wonach die Einziehung auch „für Ansprüche, die durch Verjährung erloschen sind“, zulässig ist.

    Aufgrund der Übergangsvorschrift in § 316j des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) ist die Einziehung bei verjährten Steuerforderungen sogar dann zulässig, wenn die Verjährung bereits vor dem 29.12.2020 eingetreten ist und es sich um eine Steuerverkürzung im großen Ausmaß handelt (Nr. 1 der Vorschrift). Nach Auffassung des BGH verstößt diese Übergangsvorschrift nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot.

  • Verfassungsbeschwerde gegen erstes Cum-Ex-Urteil des BGH unzulässig

    Mit Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber dem Finanzamt auf Grundlage von Cum-Ex-Leerverkäufen den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt.

    In dem BGH-Urteil war u. a. auch die Einziehung von Taterträgen gegenüber einer beteiligten Bank bestätigt worden. Hiergegen hatten Anteilseigner der Bank Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt.

    Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, 22.11.2021, 2 BvR 1872/21), nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung an. Der eine Beschwerdeführer sei gar nicht beschwerdebefugt. Der andere habe sich nicht mit der entgegenstehenden Rechtsprechung des BVerfG auseinandergesetzt, die zu einem vergleichbaren Fall schon vorliege. Zudem hätten beide Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass sie den vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsschutz ausgeschöpft haben.

  • Gegen die Diskriminierung von Steuerhinterziehung

    Mich ärgert sehr, dass Steuerhinterziehung in Deutschland immer nur negativ gesehen wird. Auch ganz aktuell. Im Internet habe ich gelesen, dass schwere Steuerhinterziehung wie Mord nicht mehr verjähren soll. Muss das wirklich sein? Setzen wir uns doch endlich mal wieder die Sonnenbrille auf!

    Mehr Netto als Brutto

    Wer Steuern hinterzieht, hat mehr Netto als Brutto in der Tasche. Er kann also mehr ausgeben, als er zur Verfügung hat. Die Kreditbranche hat das schon relativ früh erkannt. Steuerhinterziehung unterstützt damit Einzelhandel, Gastronomie und Handwerk mehr als die zeitweilige Senkung des Umsatzsteuersatzes.

    Es gibt viel zu tun

    Ohne Steuerhinterziehung wüsste die Steuerfahndung auch gar nicht, was sie zwischen 7:00 und 15:30 Uhr machen soll, abgesehen von einer halben Stunde Mittagspause. Und als Steuerstrafverteidiger könnte man sich ohne steuerunehrliche Mandanten keinen Zweitporsche für den Wochenendeinkauf beim Discounter leisten. Bekommt nicht auch der Fiskus durch geschätzte und nachgezahlte Steuern, Zinsen, Geldauflagen oder -strafen womöglich mehr, als des Kaisers ist?

    Gut für’s Klima

    Jedenfalls ist Steuerhinterziehung nachhaltig und gut für die Umwelt. Denn je weniger Rechnungen geschrieben werden, desto mehr Papier wird gespart. Auch die elektronische Rechnung frisst ja nur unnötig Strom und Speicherplatz.

    Gäbe es da nicht „Cum-Ex“ und ähnliche Sachverhalte, die nachdenklich machen. Aber das sind alles Singularitäten. Und nach Stephen Hawking – der sich als erster auf einen barrierefreien Planeten weggebeamt hat, ohne uns zu hinterlassen, wie das geht – ist es müßig, über Singularitäten irgendwelche Erkenntnisse gewinnen zu wollen. Also tun wir es dem Bundeskanzler gleich: Denken wir nicht weiter darüber nach.

    Ausblick

    In diesem Sinne schon mal ein schönes Wochenende und ärgern Sie sich nicht darüber, dass Ihr Nachbar mehr hinterzieht als Sie selbst. Irgendwann bekommt auch er die Verteidigerrechnung, dann sind Sie wieder auf Augenhöhe.

  • Scheinverträge zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht – Auch ein steuer(straf)rechtliches Problem

    In einem Musterverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, 25.10.2021, Az. L 8 BA 3118/20 ging es um Scheinverträge, die ein „führender Hersteller von Betonprodukten“ mit rumänischen Staatsangehörigen abgeschlossen hatte, um – so das Landessozialgericht – die Sozialversicherungspflicht zu umgehen. Die Rumänen wurden als Selbstständige behandelt, was sie aber offensichtlich nicht waren. Da half es auch nicht, dass Gesellschaftsverträge (GbR-Verträge) aufgesetzt wurden, um der Sache einen seriösen Anschein zu geben.

    „Verkürzung“ von Sozialversicherungsbeiträgen

    Solche „Gestaltungen“ ziehen in der Praxis erhebliche Probleme nach sich. Zunächst ist an die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen zu denken, parallel auch an eine mögliche Strafbarkeit nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen) – der Betonhersteller dürfte Arbeitgeber und die rumänischen „GbR-Gesellschafter“ dürften in Wahrheit Arbeitnehmer sein.

    In der Praxis ist dabei zu beachten, dass die Rechtsprechung den Beginn der Verjährungsfrist neu justiert hat.

    Lohnsteuer

    Wenn der Betonhersteller Arbeitgeber ist, dann hätte er auch Lohnsteuer abführen müssen. Daher wird sich auch das Finanzamt brennend für den Fall interessieren: Die Nachforderung von Lohnsteuer bzw. eine Haftung des Arbeitgebers für nicht abgeführte Lohnsteuer dürfte anstehen. Und hier kommt das Steuerstrafrecht inst Spiel: Durch die pflichtwidrige Nichtabgabe von Lohnsteueranmeldungen wurde im Regelfall Lohnsteuer hinterzogen (§ 370 AO).

    Umsatzsteuer

    Zudem besteht ggf. noch ein umsatzsteuerrechtliches Problem: Wenn die GbRs (Schein-)Rechnungen an den Betonhersteller geschrieben und darin Umsatzsteuer ausgewiesen haben, dann wird die darin ausgewiesene Umsatzsteuer geschuldet, solange die Rechnungen nicht korrigiert wurden. Trotzdem darf der Rechnungsempfänger (Betonhersteller) die in den (Schein-)Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Dann wird Umsatzsteuer nachgefordert und ggf. steht auch die Hinterziehung von Umsatzsteuer im Raum.

  • Jede Steuerhinterziehung als Geldwäsche-Vortat?

    Nach dem neuen § 261 StGB (m. W. v. 18.03.2021) kann Vortat einer Geldwäsche jede rechtswidrige Tat sein, daher auch jede „einfache“ Steuerhinterziehung. § 261 Abs. 1 StGB alte Fassung setzte noch voraus, dass die Steuerhinterziehung gewerbs- oder bandenmäßig begangen wurde.

    Allerdings sind nach der Neufassung von § 261 Abs. 1 StGB „die durch die Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen“ (vgl. § 261 Abs. 1 S. 3 StGB a. F.) kein taugliches Tatobjekt der Geldwäsche mehr, weil die Neufassung die ersparten Aufwendungen nicht mehr ausdrücklich erwähnt (OLG Saarbrücken, 26.05.2021, 4 Ws 53/21).

    Gemäß § 31b Abs. 2 AO sind Finanzbehörden verpflichtet, Geldwäsche-Sachverhalte an die sog. Financial Intelligence Unit (FIU) zu melden, „unabhängig von deren Höhe.“

  • Ausweitung der TKÜ bei Steuerhinterziehung

    Gemäß § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 a) StPO a. F. war die Telekommunikationsüberwachung im Fall einer Steuerhinterziehung nur zulässig, wenn die Steuerhinterziehung „unter den in § 370 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 genannten Voraussetzungen“ begangen wurde (also bandenmäßige Hinterziehung von Umsatz- oder Verbrauchssteuern bzw. bandenmäßige Erlangung von Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteilen).

    Mit Wirkung vom 01.07.2021 erfasst § 100a Abs. 2 Nr. 2 a) StPO nunmehr auch bandenmäßige Steuerhinterziehungen zu sonstigen Steuerarten (z. B. Einkommensteuer), wenn ein Fall des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO (= Steuerverkürzung oder Steuervorteil in großem Ausmaß) vorliegt.

  • Verjährungsbeginn bei Steuerhinterziehung: Erstbescheid oder Änderungsbescheid maßgeblich?

    Ausgangspunkt

    Kürzlich kam es in einem Steuerstrafverfahren vor dem Amtsgericht Leipzig u. a. zu einer Kontroverse über den Beginn der Verfolgungsverjährungsfrist.

    Meinem Mandanten, ein Steuerberater, warf man in mehreren Anklagepunkten Steuerhinterziehung zugunsten seiner Mandanten, aber auch in eigener Sache vor, jeweils durch Abgabe unrichtiger Einkommensteuererklärungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Schon vor Eröffnung des Hauptverfahrens waren drei vorgeworfene Taten verjährt. Jetzt ging es um die Frage, ob seitdem ein weiterer Anklagepunkt verjährt ist. Je nachdem, wann man den Beginn der Verjährungsfrist ansetzt, war die angeklagte Tat bereits verjährt oder eben nicht.

    Sachverhalt (vereinfacht)

     

    Am 25.05.2011 wurde die Einkommensteuererklärung 2010 beim Finanzamt eingereicht. Darin wurden – so der Vorwurf – zu Unrecht Verluste aus Vermietung und Verpachtung erklärt. Daraufhin wurde am 04.10.2011 der Einkommensteuerbescheid 2010 bekannt gegeben, in dem das Finanzamt die erklärten Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigte. Am 06.06.2013 erging ein Änderungsbescheid, der sich allerdings auf andere Einkünfte (Beteiligungseinkünfte) bezog.

    Am 11.10.2021 fand der (letzte) Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht statt. Zu Beginn gab ich zu Protokoll, dass die vorgeworfene Tat bereits verjährt sei. Gleichwohl wurde der Mandant am Ende des Tages auch in diesem Anklagepunkt verurteilt. Staatsanwaltschaft und Gericht gingen davon aus, dass die Tat nicht verjährt sei.

    Verjährungsfrist und „absolute“ Verjährung

    Bei Steuerhinterziehung gilt entweder eine 5jährige (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) oder – falls ein gesetzlich genannter Fall einer besonders schweren Steuerhinterziehung vorliegt (z. B. Steuerverkürzung in großem Ausmaß) – die 15jährige Verjährungsfrist (376 Abs. 1 AO). Im vorliegenden Fall gilt die 5jährige Verjährungsfrist. Die Verfolgungsverjährung kann unterbrochen werden, z. B. durch Bekanntgabe der Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Dann beginnt die Verjährungsfrist neu. Zu beachten ist dabei aber die so genannte absolute Verjährungsfrist. Diese beträgt – in Fällen wie hier – maximal das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist (§ 78c Abs. 3 S. 2 StGB), also 10 Jahre.

    Die Verfolgungsverjährungsfrist beginnt, wenn die Tat beendet ist. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die Tat bei Veranlagungssteuern (hier: Einkommensteuer) und aktivem Tun (hier: Abgabe unrichtiger Steuererklärungen) mit Bekanntgabe des unrichtigen Steuerbescheides beendet. Maßgeblich für die Tatbeendigung ist die Bekanntgabe des (ersten) auf die unrichtige Erklärung ergehenden Steuerbescheides. Etwaige spätere Änderungsbescheide spielen für die Frage der Tatbeendigung keine Rolle (BGH, 25.04.2001, 5 StR 613/00; Jäger in Klein, AO, § 376 Rn. 21).

    Lösung

     

    Staatsanwaltschaft und Gericht gingen – ohne nähere Begründung – davon aus, dass es für den Beginn der Verjährungsfrist auf den Änderungsbescheid (06.06.2013) ankomme. Rechne man 10 Jahre (absolute Verjährungsfrist) hinzu, würde die Tat erst im Juni 2023 verjähren.

    Das ist jedoch falsch. Richtigerweise kommt es nach der BGH-Rechtsprechung auf den Erstbescheid (Bekanntgabe am 04.10.2011) an. Absolute Verjährung trat folglich mit Ablauf des 03.10.2021, also vor der erstinstanzlichen Verurteilung (11.10.2021) ein.

    Insoweit wurde mein Mandant trotz Verjährung und damit zu Unrecht verurteilt. Ich bin gespannt, was das Landgericht in der Berufung davon hält.

  • Einziehung von Bestechungsgeldern: Keine Doppelbelastung

    Einnahmen bzw. Umsätze in Form von Bestechungsgeldern unterliegen der Einziehung (§ 73ff. StGB). Da Bestechungsgelder steuerpflichtig sind (vgl. § 40 AO: „Für die Besteuerung ist es unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches … Verbot … verstößt.“), fallen darauf ggf. Einkommensteuer / Körperschaftsteuer, Umsatz- und Gewerbesteuer an. Auch die hinsichtlich der entstandenen Steuern ersparten Aufwendungen unterliegen der Einziehung.

    In solchen Fällen ist zu beachten, dass – neben den erhaltenen Bestechungsgeldern – nicht noch zusätzlich (kumulativ) die ersparten Aufwendungen für die auf die Bestechungsgelder entfallenden Steuern eingezogen werden.

    BGH, 10.08.2021, 1 StR 399/20 m. w. N.

    „Würde nebeneinander sowohl das aus den Bestechungstaten Erlangte als auch der Wert der ersparten Aufwendungen für die wegen des Zuflusses entstandenen Steuern eingezogen, unterläge ein höherer als der insgesamt zugeflossene Betrag der Einziehung. Solches wäre mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu vereinbaren, wonach es durch Besteuerung und Vermögensabschöpfung nicht zu einer doppelten Belastung des Täters kommen darf …“

    Beispiel (vereinfacht)

    Der Beschuldigte erhält 10.000 € Bestechungsgelder, die er in seiner Einkommensteuererklärung verschweigt. Sein individueller Einkommensteuersatz soll 30 % betragen.

    Es wäre unzulässig, 10.000 € (Bestechungsgelder) und zusätzlich noch 3.000 € (ersparte Aufwendungen für die verkürzte Einkommensteuer) einzuziehen.

  • Haftungsbescheid wegen Steuerhinterziehung: Finanzamt gewährt vor Finanzgericht selbst Aussetzung der Vollziehung

    Manchmal beantragt man beim Finanzamt vergeblich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Haftungsbescheides. Dann reicht man einen AdV-Antrag bei Gericht ein, begründet den Antrag und plötzlich gewährt das Finanzamt selbst die AdV. So auch in dem folgenden Fall.

    Haftungsinanspruchnahme wegen Steuerhinterziehung

    Das Finanzamt erließ, gestützt auf § 71 AO, einen Haftungsbescheid über ca. 97.000,00 € wegen Umsatzsteuer 2010 bis 2012 gegen meinen Mandanten. Als Geschäftsführer einer GmbH habe mein Mandant Scheinrechnungen eingebucht und daraus in den Jahren 2010 bis 2012 zu Unrecht den Vorsteuerabzug für die GmbH geltend gemacht.

    Nach Einspruch gegen den Haftungsbescheid beantragte mein Mandant beim Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides und die Offenlegung der Besteuerungsunterlagen (§ 364 AO) – das Finanzamt lehnte jedoch ab. Daraufhin beantragte ich die AdV beim Finanzgericht.

    AdV-Antrag beim Finanzgericht

    In meiner Antragsbegründung trug ich im Wesentlichen folgende Einwendungen vor:

    • Der angefochtene Haftungsbescheid erschöpfe sich lediglich in formelhaften Ausführungen dazu, dass mein Mandant Steuerhinterziehungen begangen habe.
    • Nach Aktenlage werfe das Finanzamt meinem Mandanten bezogen auf das Jahr 2010 zudem nur eine versuchte Steuerhinterziehung vor. Auch eine versuchte Steuerhinterziehung sei zwar strafbar (§ 370 Abs. 2 AO). Allerdings setze die Haftungnorm des § 71 AO voraus, dass die Steuerhinterziehung vollendet wurde, d. h. eine Steuerverkürzung eingetreten ist oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt wurden. Der Versuch einer Steuerhinterziehung begründe nach der Rechtsprechung keine Haftung nach § 71 AO, weil dadurch kein Haftungsschaden eintritt.
    • In den Jahren 2011 und 2012 seien offensichtlich „Vorsteuerüberhänge“ (Vorsteuervergütungen bzw. -erstattungen) geltend gemacht worden. Diese seien – wie es schien – teilweise auf andere fällige Steuern umgebucht und teilweise wohl auch ausgezahlt worden. Damit werde mein Mandant aber nicht für Steuer-, sondern für (angebliche) Erstattungsansprüche gegenüber der GmbH in Haftung genommen. Nach der Rechtsprechung müsse das Finanzamt in einem solchen Fall zuerst die „Bescheidlage“ ändern (Aufhebung oder Änderung der ursprünglichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. -Jahresanmeldungen), um einen Erstattungs- und darauf basierenden Haftungsanspruch geltend machen zu können. Es genüge nicht, dass nur materiell-rechtlich (angeblich) etwas zu Unrecht erlangt wurde. Es bestünden hier erhebliche Zweifel daran, dass das Finanzamt die „Bescheidlage“ wirksam geändert habe.
    • Die (angeblichen) Haftungsansprüche seien auch festsetzungsverjährt. Da das feststellungsbelastete Finanzamt nicht nachgewiesen habe, dass mein Mandant hinsichtlich der Jahre 2010-2012 Steuerhinterziehungen begangen habe, bleibe es bei der vierjährigen – statt der, wie vom Finanzamt unterstellt, 10jährigen – Festsetzungsfrist. Diese sei aber bei Erlass des angefochtenen Haftungsbescheides bereits abgelaufen.

    Abhilfe des Finanzamtes

    Nachdem ich auf diese Weise den AdV-Antrag begründete, half das Finanzamt ab und gewährte die AdV, noch bevor das Finanzgericht entscheiden konnte. Das Finanzamt musste die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen, da sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hatte.

    Praxis-Tipp

    Auch wenn der AdV-Antrag schon beim Finanzgericht anhängig ist, bleibt das Finanzamt weiterhin befugt, selbst die AdV zu gewähren und dem Finanzgericht so zuvorzukommen. In diesem Fall erledigt sich die Hauptsache, weil das Prozessziel erreicht ist. Die Kostentragungspflicht des Finanzamtes ergibt sich aus § 138 FGO.
  • BGH: Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung strafbar

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn, Urteil vom 18.03.2020, 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19) bestätigt, wonach

    „… die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. … Dies ergibt sich schon daraus, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf.“

    (Pressemitteilung des BGH vom 28.07.2021; schriftliche Urteilsgründe liegen derzeit – Stand: 22.09.2021 – noch nicht vor)

  • Fußball, Kirchensteuer und Strafrecht

    Irgendwann bei der Vorbereitung meiner Vortragstätigkeit stieß ich auf eine interessante zivilrechtliche Entscheidung des OLG München vom 23.12.2015, 15 U 2063/14 („Luca Toni“). Diese betrifft zwar vordergründig nur den Fall der Steuerberaterhaftung aufgrund der Verletzung von Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit Kirchensteuern. Der Fall lässt sich aber auch (steuer-)strafrechtlich „weiterspinnen.“

    Sachverhalt

    Ein italienischer Profi-Fußballer, römisch-katholisch, Wohnsitz in Bayern, heuerte für zwei Jahre bei einem bekannten süddeutschen Bundesliga-Fußballclub an. Der Spielervertrag sah eine Nettovergütung vor, d. h. der Fußballclub trug alle auf die Spielervergütung anfallenden Steuern. Der Fußballer wurde vom Fußballclub – wahrheitswidrig – als konfessionslos angemeldet. Der Fußballclub meldete sodann Lohnsteuer, aber keine Kirchenlohnsteuer an. Später wurde Kirchensteuer nachgefordert (ca. 1,5 Mio € zzgl. Säumniszuschläge).

    Im Aufhebungsvertrag zum Spielervertrag war eine Abgeltungsklausel vereinbart, so dass der Fußballer keinen Anspruch mehr gegen den Fußballclub auf Zahlung der Kirchensteuer hatte. Daher nahm der Fußballer seinen (ehemaligen) Steuerberater in Anspruch. Der Steuerberater hatte ihn trotz Kenntnis aller Umstände nicht über die anfallende Kirchensteuer und die Tatsache informiert, dass der Fußballclub keine Kirchenlohnsteuer angemeldet und abgeführt hatte.

    Entscheidung

    Die Klage des Fußballers hatte zu einem großen Teil Erfolg, der Steuerberater haftete im vorliegenden Fall aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung aus dem Steuerberatungsvertrag. Das OLG München war „anhand des unstreitigen äußeren Sachverhalts … davon überzeugt“, dass der Fußballclub das Meldeformular des Fußballers wahrheitswidrig mit „konfessionslos“ ausgefüllt hatte. Zweck „der falschen Eintragung“ sei die „Nichtabführung von Steuern“ (Kirchenlohnsteuer) durch den Fußballclub gewesen.

    (Steuer-)Strafrechtliche Relevanz

    Strafrechtlich relevant ist die unterlassene Anmeldung der Kirchenlohnsteuer durch den Fußballclub. Da die Kirchensteuer aber kein Hinterziehungsobjekt i. S. v. § 370 AO ist, kommt zumindest Steuerhinterziehung nicht in Betracht (BGH, 25.03.2021, 1 StR 242/20). Denkbar ist aber Betrug durch die Verantwortlichen des Fußballclubs. Ob die Verkürzung von Kirchensteuern als Betrug (§ 263 StGB) strafbar ist, hat der BGH bisher offen gelassen bzw. nicht entschieden.

  • Verkürzung von Kirchensteuer ist keine Steuerhinterziehung

    Erneut entschied der BGH (25.03.2021, 1 StR 242/20), dass die Verkürzung von Kirchensteuer keine Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 AO darstellt. Ob stattdessen eine Strafbarkeit wegen Betrugs (§ 263 StGB) in Betracht kommt, ließ der BGH weiterhin offen (so auch schon BGH, 17.04.2008, 5 StR 547/07).