Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Tag: Landgericht

  • Vorfreude, schönste Freude …

    Am kommenden Donnerstag geht es in die zweite Runde in einer Steuerstrafsache vor dem Landgericht. Die erste Hauptverhandlung wurde Ende 2023 ausgesetzt, jetzt beginnt sie von neuem.

    Befangenheitsanträge während ausgesetzter Hauptverhandlung

    Während der ersten – ausgesetzten – Hauptverhandlung hatte ich drei Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden gestellt, die alle abgelehnt wurden.

    Problem: Hiergegen gibt es kein separates Rechtsmittel. Dass die Befangenheitsanträge zu Unrecht abgelehnt wurden, kann erst später in der Revision gerügt werden. Bis dahin muss der angeklagte Mandant mit dem abgelehnten Vorsitzenden leben.

    Wiederholung in der neuen Hauptverhandlung

    Der 4. Strafsenat (31.01.2023, 4 StR 67/22) und der 5. Strafsenat des BGH (26.01.2006, 5 StR 500/05) sind uneins darüber, ob die während der ausgesetzten Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsanträge in der neuen Hauptverhandlung wiederholt bzw. die Ablehnungsgründe erneut geltend gemacht werden müssen (5. Strafsenat: ja; 4. Strafsenat: nein).

    Davon kann die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge abhängen: Wiederholt man die Ablehnungsgründe nicht und folgt man der Auffassung des 5. Strafsenats, kann man die Befangenheitsanträge mit der Revision nicht mehr angreifen.

    Wohl oder übel werde ich mich also auf die Pfade des 5. Strafsenats begeben müssen (Stichwort: „sicherster Weg“). Die Befangenheitsanträge habe ich auf 7 Seiten komprimiert, die ich nach Aufruf der Sache vortragen werde.

    Den Vorsitzenden habe ich vorab darüber informiert. Die Stimmung wird also gleich zu Beginn wieder versaut sein. Aber das Leben ist kein Ponyhof.

  • Sitzungshaftbefehl: Sächsischer Verfassungsgerichtshof gibt Verfassungsbeschwerde statt

    In einem Beitrag aus Dezember 2023 berichtete ich über ein Eilverfahren vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof, das sich gegen einen sog. Sitzungshaftbefehl richtete.

    Nachdem der Verfassungsgerichtshof zunächst den Vollzug des Sitzungshaftbefehls aussetzte, gab er durch Beschluss vom 25.04.2024, Az. Vf. 111-IV-23 (HS), auch meiner Verfassungsbeschwerde gegen den Sitzungshaftbefehl statt. Der Verfassungsgerichtshof stellte fest, dass „der Haftbefehl des Landgerichts Leipzig vom 6. November 2023 (11 NBs 222 Js 21332/19) und der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 29. November 2023 (1 Ws 246/13) … den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf“ verletzen.

    Den „Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sitzungshaft genügen die angegriffenen Entscheidungen nicht. … Der angegriffene Haftbefehl des Landgerichts vom 6. November 2023 genügt den … verfassungsrechtlichen Maßstäben bereits deshalb nicht, weil er in seinen Gründen keinerlei Prognose über das Erscheinen des Beschwerdeführers zu einem Fortsetzungstermin anstellt, sondern sich allein zum unentschuldigten Ausbleiben verhält. … Auch der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Freiheitsentziehung nach § 329 Abs. 3 StPO nicht hinreichend gerecht, soweit dieser darauf abstellt, dass die Verhaftung des Beschwerdeführers geboten sei, weil mildere Mittel, die das Erscheinen des Beschwerdeführers zur Berufungshauptverhandlung sicherstellen könnten, nicht ersichtlich seien. Insoweit erfolgt keine der besonderen Bedeutung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf genügende Auseinandersetzung mit den besonderen Umständen des Einzelfalls. …“

    Update (15.08.2024)

    Das Aktenzeichen des OLG Dresden lautet richtigerweise 1 Ws 246/23. Auf meinen Antrag hin hat der SächsVerfGH den Beschluss vom 25.04.2024 berichtigt (Beschluss vom 23.05.2024, Az. Vf. 111-IV-23 (HS)). Insoweit lag ein offensichtliches Schreibversehen vor.

  • Steuerhinterziehung durch Steuerberater: Verurteilung in der Revision teilweise aufgehoben

    Ich verteidige einen Mandanten, dem vorgeworfen wird, als Steuerberater habe er Beihilfe und Anstiftung zur Steuerhinterziehung zugunsten seiner Mandanten sowie Steuerhinterziehung in eigener Sache begangen.

    Verurteilung vor Amts- und Landgericht

    Das Amtsgericht Leipzig verurteilte meinen Mandanten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten (ausgesetzt zur Bewährung), teilweise sprach es frei.

    In der Berufung vor dem Landgericht Leipzig (Az. 11 Ns 221 Js 34298/21 (2)) – sowohl die Staatsanwaltschaft als auch ich hatten Berufung eingelegt – kam eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten heraus, ebenfalls ausgesetzt zur Bewährung. Zudem sollte mein Mandant 30.000,00 € Geldauflage zahlen.

    Revision teilweise erfolgreich

    Meine Revision vor dem OLG Dresden hatte teilweise Erfolg (Beschluss vom 08.02.2024, Az. 1 ORs 13 Ss 501/22). Zwar konnte ich nicht mit meinen Argumenten gegen den Schuldspruch durchdringen. Die Verurteilung dem Grunde nach hat das OLG „gehalten.“ Allerdings bemängelte es den Strafausspruch.

    Insbesondere vermisste das OLG eine Entscheidung über die Kompensation einer rechtssstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten wurde (bereits) im Jahr 2015 eingeleitet, Anklage wurde aber erst in 2020 erhoben. Zudem begann erst im September 2021 die Hauptverhandlung. Das Landgericht hätte diese Umstände näher darlegen und würdigen müssen.

    Zudem stellte das Landgericht in seinem Urteil die Berechnung der verkürzten Steuern teilweise nur unzureichend dar. Die aufgeführten Steuerverkürzungen waren für das OLG (teilweise) nicht nachvollziehbar.

    Und schließlich habe das Landgericht die lange Verfahrensdauer als wesentlichen Strafzumessungskriterium nicht hinreichend gewürdigt.

    Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts Leipzig zurückverwiesen.

    Praxis-Tipp

    Die Urteilsfeststellungen müssen insbesondere enthalten, welche Steuern zu welchem Zeitpunkt tatsächlich (nicht, zu niedrig oder zu spät) festgesetzt wurden („Ist-Steuer“), die Besteuerungsgrundlagen für die gesetzlich geschuldete Steuer („Soll-Steuer“), eine im Einzelnen nachvollziehbare Berechnung der „Soll-Steuern“, gesondert für jede Steuerart und für jeden Steuerabschnitt sowie eine Gegenüberstellung von „Soll-“ und „Ist-Steuer“, deren Differenz die Steuerverkürzung ergibt (BGH, 08.08.2017, 1 StR 519/16).

    Kommt es in einem (Steuer-)Strafverfahren zu einem großen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil, kann dies bei der Bestimmung der Rechtsfolgen unter drei verschiedenen Aspekten von Bedeutung sein:

    Zunächst kann der betreffende Zeitraum bereits für sich genommen ins Gewicht fallen. Unabhängig hiervon kann einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige Bedeutung zukommen, bei der insbesondere die mit dem Verfahren selbst verbundenen Belastungen des Angeklagten zu berücksichtigen sind. Und schließlich kann sich eine darüber hinaus gehende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu Gunsten des Angeklagten auswirken. Diese Umstände sind als jeweils eigenständige und auch bestimmende Strafzumessungsgründe (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO) bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (BGH, 26.10.2017, 1 StR 359/17).

    Update (23.08.2024)

    Zwischenzeitlich fand die zweite Berufungshauptverhandlung nach Zurückverweisung statt. Heraus kam (nur noch) eine Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 50 €, also 12.500,00 €. Mein Mandant hat diese akzeptiert.

  • Sächsischer Verfassungsgerichtshof setzt Sitzungshaftbefehl des Landgerichts Leipzig außer Vollzug

    Ich verteidige derzeit einen Mandanten in einer Steuerstrafsache (Berufungsverfahren) vor der 11. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Leipzig.

    Erstinstanzliche Verurteilung wegen leichtfertiger Steuerverkürzung

    Vom Amtsgericht Leipzig wurde mein Mandant (nur) wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) schuldig gesprochen, obwohl die Anklage auf (vorsätzliche) Steuerhinterziehung (§ 370 AO) lautete. Daher legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein.

    Für meinen Mandanten legte ich ebenfalls Berufung ein, weil das Amtsgericht die Voraussetzungen einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige (§ 378 Abs. 3 AO) festgestellt hatte und insoweit kein Schuldspruch hätte ergehen dürfen. Das Verfahren wäre vielmehr einzustellen gewesen, weil ein Verfahrenshindernis vorlag.

    Abwesenheit im letzten Hauptverhandlungstermin

    In drei von vier angesetzten Berufungshauptverhandlungsterminen war mein Mandant anwesend. Beim vierten Termin war er jedoch verhindert: Zu diesem Zeitpunkt befand er sich auf einer Kreuzfahrt, die er bereits Monate vor Einlegung der Berufung gebucht hatte. Dies hatte ich gegenüber dem Vorsitzenden im Rahmen der Terminsabstimmung für die Berufungshauptverhandlungen auch rechtzeitig kommuniziert. Gleichwohl nahm der Vorsitzende darauf keine Rücksicht und mein Antrag auf Terminsaufhebung bzw. -verschiebung wurde abgelehnt.

    Am vierten Hauptverhandlungstag erschien ich pünktlich, vorbereitet und verhandlungsbereit. Zudem legte ich eine spezielle Vollmacht vor, die mich ausdrücklich ermächtigte, meinen Mandanten in der Berufungshauptverhandlung zu vertreten (vgl. § 329 StPO). Damit war nach meiner Auffassung die Fortsetzung und Beendigung der Hauptverhandlung auch ohne Anwesenheit meines Mandanten gesichert.

    Vorführungs- und Haftbefehl und Beschwerde

    Der Vorsitzende der 11. Strafkammer sah das völlig anders. Er verkündete am 06.11.2023 zunächst einen Vorführungs- und dann einen Sitzungshaftbefehl. Hiergegen legte ich für meinen Mandanten Beschwerde ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Haftbefehls. Ich kündigte an, die Beschwerde „voraussichtlich spätestens am 09.11.2023“ zu begründen. Ohne meine Begründung abzuwarten, half der Vorsitzende meiner Beschwerde bereits am 08.11.2023 nicht ab und legte sie direkt dem zuständigen Oberlandesgericht Dresden vor.

    Vor diesem Hintergrund lehnte ich den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Bei einem objektiven Angeklagten müsse das den Eindruck erwecken, der Vorsitzende habe sich bereits eine abschließende Auffassung darüber gebildet, dass die Beschwerde unbegründet sei, noch bevor die Beschwerde überhaupt – wie angekündigt – begründet wurde. Der Befangenheitsantrag wurde jedoch abgelehnt.

    Die Beschwerdebegründung reichte ich wie angekündigt am 09.11.2023 ein.

    Oberlandesgericht Dresden verwirft Beschwerde

    Das Oberlandesgericht Dresden verwarf meine Beschwerde mit Beschluss vom 29.11.2023, 1 Ws 246/23. Darin wiederholte es im Wesentlichen nur die Argumentation des Vorsitzenden der 11. Strafkammer. Insbesondere mit der Frage der Verhältnismäßigkeit setzte sich das Oberlandesgericht nicht hinreichend auseinander. Meine dagegen erhobene Anhörungsrüge hatte ebenfalls keinen Erfolg.

    Sächsischer Verfassungsgerichtshof erlässt einstweilige Anordnung

    Daher beantragte ich am 30.11.2023 beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Vollziehung des Sitzungshaftbefehls bis zur Entscheidung über eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde vorläufig auszusetzen.

    Meinem Antrag wurde stattgegeben. Da meinem Mandanten am 04.12.2023 unmittelbar bei Rückkehr von der Kreuzfahrt die Verhaftung drohte, erließ der Verfassungsgerichtshof noch am 03.12.2023 (ein Sonntag!) unter dem Az. Vf. 101-IV-23 (e.A.) die beantragte einstweilige Anordnung und setzte den Haftbefehl vorläufig außer Vollzug. Zudem muss der Freistaat Sachsen meinem Mandanten die notwendigen Auslagen (Anwaltskosten) erstatten. Die einstweilige Anordnung gilt zunächst einen Monat.

    Nachdem ich eine Reihe von Behörden über die einstweilige Anordnung informiert hatte, erhielt ich am 03.12.2023 gegen 21:00 Uhr die Bestätigung der Bundespolizei, dass der Haftbefehl nicht vollzugen werde. Buchstäblich in allerletzter Minute!

    SächsVerfGH, 03.12.2023, Vf. 101-IV-23 (e.A.)

    Update (18.12.2023)

    Inzwischen hat der Verfassungsgerichtshof durch acht Richter die einstweilige Anordnung vom 03.12.2023 bestätigt, an der zunächst nur drei Berufsrichter mitgewirkt hatten („Notbesetzung“). Folge ist, dass die einstweilige Anordnung nunmehr eine Geltungsdauer von 6 Monaten hat.

    SächsVerfGH, 08.12.2023, Vf. 101-IV-23

    Update (03.05.2024)

    Zwischenzeitlich gab der Sächsische Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 25.04.2024 auch im Hauptsacheverfahren meiner Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl statt.

  • BGH: Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung strafbar

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 28.07.2021, 1 StR 519/20, die Entscheidung der Vorinstanz (LG Bonn, Urteil vom 18.03.2020, 62 KLs – 213 Js 41/19 – 1/19) bestätigt, wonach

    „… die Geltendmachung tatsächlich nicht einbehaltener Kapitalertragsteuer gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage derartiger Cum-Ex-Geschäfte den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. … Dies ergibt sich schon daraus, dass nur die tatsächlich einbehaltene Kapitalertragsteuer zur Anrechnung und Auszahlung angemeldet werden darf.“

    (Pressemitteilung des BGH vom 28.07.2021; schriftliche Urteilsgründe liegen derzeit – Stand: 22.09.2021 – noch nicht vor)

  • Steuerhinterziehung: Berufungsgericht wandelt Freiheitsstrafe in Geldstrafe um

    Gestern verteidigte ich in einer Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Chemnitz. Meinem Mandanten, ein Rechtsanwalt, wurde u. a. vorgeworfen, er habe vereinnahmte Gelder zu Unrecht als erfolgs- bzw. umsatzneutrale Fremdgelder behandelt, statt diese als Betriebseinnahmen und Umsätze zu buchen und zu erklären. Daher habe er für zwei Jahre unrichtige Einkommensteuer- und Umsatzsteuerjahreserklärungen abgegeben. Darüber hinaus warf man meinem Mandanten vor, in zwei anderen Jahren die Steuererklärungen zu spät abgegeben zu haben.

    Die erste Instanz (Amtsgericht Chemnitz/Strafrichter) verurteilte meinen Mandanten wegen Steuerhinterziehung in 6 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Als Bewährungsauflage sollte mein Mandant zusätzlich 40.000 € an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.

    Das Landgericht bestätigte in der Berufung den Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung, „wandelte“ die Freiheitsstrafe (einschließlich Geldauflage) aber um in eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen um (im Ergebnis 30.000 €; die Staatsanwaltschaft hatte stattdessen 1 Jahr Freiheitsstrafe beantragt).

    Freuen kann man sich dennoch nicht, da ich Freispruch für meinen Mandanten beantragt hatte. Es besteht nun die Möglichkeit, Revision zum OLG Dresden einzulegen.

    Update (08.03.2019): Das OLG Dresden hat auf meine Revision hin das Urteil des Landgerichts Chemnitz aufgehoben.