Mit seiner Entscheidung vom 27.10.2015, Az. 1 StR 373/15, hat der 1. Strafsenat des BGH die Welt der Strafzumessung bei Steuerhinterziehung ordentlich durcheinander gebracht. Gemäß § 370 Abs. 3 S. 2 AO liegt ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung in der Regel vor, wenn der Täter „in großem Ausmaß Steuern verkürzt“.
Seit einer Grundsatzentscheidung aus 2008 (BGH v. 02.12.2008, 1 StR 416/08) entsprach es gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass im Fall der bloßen Gefährdung des Steueranspruchs die Wertgrenze für das „große Ausmaß“ 100.000 € beträgt.
Beschränkt sich das Verhalten des Täters … darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, dann kann das „große Ausmaß“ höher angesetzt werden. Der Senat hält hierbei eine Wertgrenze von 100.000 € für angemessen.
Der BGH hat diese jahrelange Rechtsprechung nunmehr „fortentwickelt“, wie es im Leitsatz der Entscheidung vom 27.10.2015 heißt. Auf Deutsch: Er hat diese Rechtsprechung aufgegeben.
Nach der bisher geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Wertgrenze in Fällen dieser Art allerdings bei 100.000 Euro. … An dieser Rechtsprechung hält der Senat nicht fest.
Fazit: Diese Änderung der Rechtsprechung ist für eine sachgerechte Beratung und Verteidigung zwingend zu beachten. Die Entscheidung wird zur Folge haben, dass die Gerichte nunmehr öfter als bisher Freiheitsstrafe statt Geldstrafe verhängen werden. Insbesondere hat diese Entscheidung auch wesentliche Bedeutung für die Selbstanzeigeberatung. Problematisch ist dabei die Auswirkung auf schon abgegebene Selbstanzeigen bei Verkürzungsbeträgen zwischen 50.000 und 100.000 €. In der Literatur wird diskutiert, ob diese Rechtsprechungsänderung rückwirkend anzuwenden oder ob dem Täter Vertrauensschutz zu gewähren ist (dazu z. B. Schott, PStR 2016, 63). Auch die AStBV (St) 2014 Nr. 76 Abs. 2 sind in diesem Punkt überholt.