Manchmal beantragt man beim Finanzamt vergeblich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Haftungsbescheides. Dann reicht man einen AdV-Antrag bei Gericht ein, begründet den Antrag und plötzlich gewährt das Finanzamt selbst die AdV. So auch in dem folgenden Fall.
Haftungsinanspruchnahme wegen Steuerhinterziehung
Das Finanzamt erließ, gestützt auf § 71 AO, einen Haftungsbescheid über ca. 97.000,00 € wegen Umsatzsteuer 2010 bis 2012 gegen meinen Mandanten. Als Geschäftsführer einer GmbH habe mein Mandant Scheinrechnungen eingebucht und daraus in den Jahren 2010 bis 2012 zu Unrecht den Vorsteuerabzug für die GmbH geltend gemacht.
Nach Einspruch gegen den Haftungsbescheid beantragte mein Mandant beim Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides und die Offenlegung der Besteuerungsunterlagen (§ 364 AO) – das Finanzamt lehnte jedoch ab. Daraufhin beantragte ich die AdV beim Finanzgericht.
AdV-Antrag beim Finanzgericht
In meiner Antragsbegründung trug ich im Wesentlichen folgende Einwendungen vor:
- Der angefochtene Haftungsbescheid erschöpfe sich lediglich in formelhaften Ausführungen dazu, dass mein Mandant Steuerhinterziehungen begangen habe.
- Nach Aktenlage werfe das Finanzamt meinem Mandanten bezogen auf das Jahr 2010 zudem nur eine versuchte Steuerhinterziehung vor. Auch eine versuchte Steuerhinterziehung sei zwar strafbar (§ 370 Abs. 2 AO). Allerdings setze die Haftungnorm des § 71 AO voraus, dass die Steuerhinterziehung vollendet wurde, d. h. eine Steuerverkürzung eingetreten ist oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt wurden. Der Versuch einer Steuerhinterziehung begründe nach der Rechtsprechung keine Haftung nach § 71 AO, weil dadurch kein Haftungsschaden eintritt.
- In den Jahren 2011 und 2012 seien offensichtlich „Vorsteuerüberhänge“ (Vorsteuervergütungen bzw. -erstattungen) geltend gemacht worden. Diese seien – wie es schien – teilweise auf andere fällige Steuern umgebucht und teilweise wohl auch ausgezahlt worden. Damit werde mein Mandant aber nicht für Steuer-, sondern für (angebliche) Erstattungsansprüche gegenüber der GmbH in Haftung genommen. Nach der Rechtsprechung müsse das Finanzamt in einem solchen Fall zuerst die „Bescheidlage“ ändern (Aufhebung oder Änderung der ursprünglichen Umsatzsteuer-Voranmeldungen bzw. -Jahresanmeldungen), um einen Erstattungs- und darauf basierenden Haftungsanspruch geltend machen zu können. Es genüge nicht, dass nur materiell-rechtlich (angeblich) etwas zu Unrecht erlangt wurde. Es bestünden hier erhebliche Zweifel daran, dass das Finanzamt die „Bescheidlage“ wirksam geändert habe.
- Die (angeblichen) Haftungsansprüche seien auch festsetzungsverjährt. Da das feststellungsbelastete Finanzamt nicht nachgewiesen habe, dass mein Mandant hinsichtlich der Jahre 2010-2012 Steuerhinterziehungen begangen habe, bleibe es bei der vierjährigen – statt der, wie vom Finanzamt unterstellt, 10jährigen – Festsetzungsfrist. Diese sei aber bei Erlass des angefochtenen Haftungsbescheides bereits abgelaufen.
Abhilfe des Finanzamtes
Nachdem ich auf diese Weise den AdV-Antrag begründete, half das Finanzamt ab und gewährte die AdV, noch bevor das Finanzgericht entscheiden konnte. Das Finanzamt musste die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen, da sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hatte.
Praxis-Tipp Auch wenn der AdV-Antrag schon beim Finanzgericht anhängig ist, bleibt das Finanzamt weiterhin befugt, selbst die AdV zu gewähren und dem Finanzgericht so zuvorzukommen. In diesem Fall erledigt sich die Hauptsache, weil das Prozessziel erreicht ist. Die Kostentragungspflicht des Finanzamtes ergibt sich aus § 138 FGO. |