Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Category: Revision

  • Einziehungsentscheidung: Vorheriger gerichtlicher Hinweis erforderlich

    In einem früheren Beitrag berichtete ich über eine Entscheidung des Großen Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2020, wonach vor Erlass einer Einziehungsentscheidung ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 Nr. 1 der Strafpozessordnung (StPO) erteilt werden muss, wenn die (mögliche) Einziehung weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluss erwähnt wird. Wird der erforderliche Hinweis nicht erteilt, ist die Einziehungsentscheidung in der Revision aufzuheben.

    Auch der 3. Strafsenat des BGH schließt sich dem an (Beschluss vom 16.10.2024, 3 StR 312/24). Das Gericht muss ausdrücklich auf die Möglichkeit der Einziehung des Wertes von Taterträgen hinweisen, selbst wenn die der Einziehung zugrunde liegenden Tatsachen bereits in der Anklage enthalten sind, die Einziehung aber nicht ausdrücklich erwähnt wird. Es reiche aus, dass sich der Angeklagte bei einem korrekten Hinweis auf die Einziehung möglicherweise erfolgreicher hätte verteidigen können.

  • „Cum-Ex“-Schlüsselfigur: BGH bestätigt Verurteilung von Hanno Berger

    Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf mit Beschluss vom 29.10.2024 (Aktenzeichen: 1 StR 58/24) die Revision gegen das zugrundeliegende Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 30.05.2023 (Aktenzeichen: 6 KLs – 1111 Js 18753/21) als unbegründet. Dieses hatte den Angeklagten, bei dem es sich um einen „zugelassenen, derzeit inhaftierten Rechtsanwalt“ handelt, wegen Steuerhinterziehung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt.

    Formmangel im Zusammenhang mit beA-Übermittlung problematisiert

    Der BGH problematisierte zunächst einen möglichen Verstoß gegen § 32d StPO. Nach dieser Vorschrift sollen Verteidiger und Rechtsanwälte den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen sie als elektronisches Dokument übermitteln.

    Der Angeklagte – zugelassener Rechtsanwalt – hatte selbst eine Gegenerklärung abgegeben. Diese Gegenerklärung wurde durch einen allein „in der Strafvollstreckung“ mandatierten Verteidiger über dessen (des Verteidigers) besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) an den BGH „zur weiteren Bearbeitung“ übersandt.

    Der BGH ließ offen, ob das den Wirksamkeitserfordernissen des § 32d StPO genügt, weil dies nicht entscheidungserheblich war.

    Praxis-Tipp

    Die elektronische Übermittlung insb. der Revisionsschrift, der Begründungsschrift und der Gegenerklärung (§ 32d S. 2 StPO) ist Wirksamkeitsvoraussetzung. Der Verteidiger muss erkennbar selbst die volle Verantwortung für den Inhalt dieser Schriftsätze übernehmen. Das bloße Weiterleiten von Erklärungen des Angeklagten genügt nicht. Auch an der Mandatierung des Verteidigers für die Revision bestehen Zweifel, weil sich die Mandatierung – warum auch immer – nur auf die Strafvollstreckung bezog.

    Unzulässige Vorbefassung nicht hinreichend dargelegt

    Mit der vom Angeklagten vorgebrachten Rüge einer unzulässigen Vorbefassung des Landgerichts (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) hat sich der BGH inhaltlich nicht befasst. Eine Verfahrensrüge dieser Stoßrichtung sei nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO erhoben worden.

    Entgegen der Ansicht des Angeklagten resultiere allein aus einer die Besorgnis der Befangenheit begründenden Vorbefassung eines Richters auch kein von Amts wegen zu prüfendes Verfahrenshindernis. Nicht jede (behauptete) Verletzung einer der Garantien des Art. 6 EMRK begründe einen derart schwerwiegenden Verfahrensfehler, der es rechtfertigen würde, das Strafverfahren ohne abschließende Sachentscheidung einzustellen.

    Im Übrigen seien bei Besorgnis der Befangenheit eines Berufsrichters die hierfür eröffneten Ablehnungs- und Rügemöglichkeiten gemäß §§ 24 ff., 338 Nr. 3 StPO auch vorrangig auszuschöpfen.

    Schuld- und Strafausspruch bestätigt – Einzelfragen zu „Cum-Ex“

    Der Schuld- und der Strafausspruch wurde vom BGH bestätigt. Der BGH weist darauf hin, dass im Veranlagungszeitraum 2006 Dividendenkompensationszahlungen nicht der Kapitalertragsteuer unterlagen. Beim Erwerb von Aktien im Wege eines Cum-Ex-Geschäfts wäre Kapitalertragsteuer beim Erwerber daher nur dann anzurechnen, wenn ihm die Abführung der Kapitalertragsteuer auf die originäre Dividende zuzurechnen wäre, weil er schon durch den Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags wirtschaftlicher Eigentümer der Aktie wurde. Dies war
    aber beim Erwerb vom Leerverkäufer im Veranlagungszeitraum 2006 ebenso wenig der Fall wie in späteren Veranlagungszeiträumen.

    Die Finanzbehörden hätten auch nicht schon aufgrund einer schlichten Bezugnahme auf § 20 Abs. 1
    Nr. 1 Satz 4 EStG bei Abgabe der Körperschaftsteuererklärung erkennen müssen, dass keine Kapitalertragsteuer hätte angerechnet oder erstattet werden dürfen. Hierbei handele es sich aber auch um urteilsfremdes Vorbringen, denn hierzu habe das Landgericht nichts festgestellt.

    Praxis-Tipp

    Das Revisionsverfahren dient allein der rechtlichen Überprüfung. Dabei ist das Revisionsgericht an den von der Tatsacheninstanz festgestellten Sachverhalt gebunden. Mit neuen Sachverhalt („urteilsfremdes Vorbringen“) wird man nicht gehört.

    Revisionsverfahren gegen Einziehungsentscheidung abgetrennt

    Darüber hinaus hatte das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.084.500 € angeordnet. Die Entscheidung über die auch dagegen gerichtete Revision stellte der BGH jedoch zurück, weil sich anderenfalls die Entscheidung über die anderen Rechtsfolgen der Tat (Strafausspruch) unangemessen verzögern würde. In diesem Fall ist eine Abtrennung des Verfahrens über die Einziehung möglich (§ 422 StPO).

  • Oh du fröhliche … Revisionsbegründung

    (Steuer-)Strafverteidigung ist aufregend. Was gibt es Aufregenderes, als ein Urteil eines Landgerichts in einer Steuerstrafsache, das kurz vor Weihnachten zugestellt wird.

    Ab der Zustellung beginnt die einmonatige Revisionsbegründungsfrist. Die Frist läuft ohne Rücksicht auf Weihnachtsfeiertage, Weihnachtsferien, Neujahr und sonstige Veranstaltungen, die der Erholung und seelischen Erhebung dienen sollen. Eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ist nicht möglich (anders z. B. im Finanzgerichtsverfahren, § 120 Abs. 2 FGO).

    Das Jahr endet also gut und wird genauso gut wieder losgehen.

    In diesem Sinne: Fröhliche Weihnachten!

  • Vorfreude, schönste Freude …

    Am kommenden Donnerstag geht es in die zweite Runde in einer Steuerstrafsache vor dem Landgericht. Die erste Hauptverhandlung wurde Ende 2023 ausgesetzt, jetzt beginnt sie von neuem.

    Befangenheitsanträge während ausgesetzter Hauptverhandlung

    Während der ersten – ausgesetzten – Hauptverhandlung hatte ich drei Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden gestellt, die alle abgelehnt wurden.

    Problem: Hiergegen gibt es kein separates Rechtsmittel. Dass die Befangenheitsanträge zu Unrecht abgelehnt wurden, kann erst später in der Revision gerügt werden. Bis dahin muss der angeklagte Mandant mit dem abgelehnten Vorsitzenden leben.

    Wiederholung in der neuen Hauptverhandlung

    Der 4. Strafsenat (31.01.2023, 4 StR 67/22) und der 5. Strafsenat des BGH (26.01.2006, 5 StR 500/05) sind uneins darüber, ob die während der ausgesetzten Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsanträge in der neuen Hauptverhandlung wiederholt bzw. die Ablehnungsgründe erneut geltend gemacht werden müssen (5. Strafsenat: ja; 4. Strafsenat: nein).

    Davon kann die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge abhängen: Wiederholt man die Ablehnungsgründe nicht und folgt man der Auffassung des 5. Strafsenats, kann man die Befangenheitsanträge mit der Revision nicht mehr angreifen.

    Wohl oder übel werde ich mich also auf die Pfade des 5. Strafsenats begeben müssen (Stichwort: „sicherster Weg“). Die Befangenheitsanträge habe ich auf 7 Seiten komprimiert, die ich nach Aufruf der Sache vortragen werde.

    Den Vorsitzenden habe ich vorab darüber informiert. Die Stimmung wird also gleich zu Beginn wieder versaut sein. Aber das Leben ist kein Ponyhof.

  • BFH: Bloße Bezugnahme auf Steuerfahndungsbericht genügt nicht

    Einige steuerrechtliche Normen setzen voraus, dass eine Steuerhinterziehung begangen wurde.

    Beispielsweise beträgt die Festsetzungsverjährung im Grundsatz vier Jahre, jedoch zehn Jahre, soweit Steuern hinterzogen wurden (§ 169 Abs. 2 S. 1 und 2 AO). Wer eine Steuerhinterziehung begangen oder daran teilgenommen hat (Anstifter oder Gehilfe), haftet nach § 71 AO neben dem Steuerschuldner für die verkürzten Steuern. Und gemäß § 235 AO sind Zinsen auf hinterzogene Steuern zu entrichten.

    In der Praxis nimmt das Finanzamt (Veranlagung, Rechtsbehelfsstelle) zur „Arbeitserleichterung“ gern auf Berichte der Steuerfahndung Bezug und „spart“ sich eigene Ermittlungen dazu, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung vorliegt. Wenn sich dann auch noch das Finanzgericht in seinem Urteil ohne weitere Beweisaufnahme lediglich auf „die nachvollziehbaren Feststellungen und schlüssigen Beweiswürdigungen im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen“ stützt, dann enthält das Urteil keine Entscheidungsgründe i. S. v. § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO. Folge: Das Urteil leidet an einem Verfahrensmangel (§§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 119 Nr. 6 FGO), so dass es in der Revision aufzuheben ist.

    BFH, 17.08.2020, II B 32/20

  • Steuerstrafverfahren gegen Rechtsanwalt: Erst Freiheitsstrafe, dann Geldstrafe und schließlich Aufhebung in der Revision

    Mein Mandant, ein Rechtsanwalt, wurde wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen vom Amtsgericht Chemnitz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Amtsgericht stützte sich dabei im Wesentlichen auf Zeugenaussagen eines Beamten der Steuerfahndung.

    Auf meine Berufung hielt das Landgericht Chemnitz den Schuldspruch aufrecht, „wandelte“ die Freiheitsstrafe aber in eine Geldstrafe von 300 Tagessätzen um. Wiederum waren Zeugenaussagen des (gleichen) Steuerfahndungsbeamten wesentlich für die Verurteilung.

    Nunmehr hob das OLG Dresden mit Beschluss vom 05.03.2019 (Az. 2 OLG 13 Ss 819/18) auf meine Revision das Urteil des Landgerichts Chemnitz auf und verwies die Sache an eine andere Kammer zurück. Meine Sachrüge hatte Erfolg. Darin hatte ich u. a. fehlerhafte bzw. unvollständige Urteilsfeststellungen gerügt. Das OLG sah das auch so. Es fehle insbesondere „an einer erschöpfenden Würdigung der erhobenen Beweise“, so das OLG.