Rico Deutschendorf ▪ Rechtsanwalt | Fachanwalt für Steuerrecht | Steuerstrafverteidiger | Dozent ▪ Leipzig | Sachsen | bundesweit

Doch keine Beihilfe zur Steuerhinterziehung – Finanzamt hebt Haftungsbescheid auf

Wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, haftet – zusätzlich zum Steuerschuldner – gemäß § 71 AO für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile sowie für die Zinsen. § 71 AO setzt voraus, dass der Straftatbestand in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt ist. Teilnahme bedeutet Anstiftung oder Beihilfe zur Tat.

Beihilfe

Eine Strafbarkeit wegen Beihilfe setzt voraus, dass jemand vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Auf subjektiver Ebene ist „Doppel-Vorsatz“ erforderlich: Erstens muss der Hilfe-Leistende Kenntnis von der vorsätzlich begangenen rechtswidrigen (Haupt-)Tat des anderen haben. Und zweitens muss er dem (Haupt-)Täter dazu vorsätzlich Hilfe leisten.

Mandantin als „Strohfrau“

Gegen den (Ex-)Ehemann meiner Mandantin, der ein Einzelunternehmen betrieb, war eine Gewerbeuntersagung verfügt worden. Damit das Unternehmen „weiter laufen“ konnte, auch um die Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, gründete der Ehemann eine UG haftungsbeschränkt, bei der meine Mandantin als Geschäftsführerin eingesetzt wurde. Faktisch führte aber der Ehemann die UG. Meine Mandantin übte zwar Bürotätigkeiten aus, hatte allerdings keinerlei Einblick in die Buchführung und die steuerlichen Angelegenheiten.

In einem Finanzgerichtsverfahren wegen nicht angemeldeter Umsatzsteuer der UG wurde festgestellt, dass die UG steuerlich nicht anzuerkennen ist. Die Umsätze seien vielmehr dem (steuerlich fortbestehenden) Einzelunternehmen zuzurechnen.

Steuerstrafverfahren und Haftungsbescheid

Gegen meine Mandantin wurde zunächst ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Finanzamt behauptete, meine Mandantin habe durch ihre Tätigkeit für den Ehemann Beihilfe zu dessen Steuerhinterziehung geleistet. Sie habe auch vorsätzlich gehandelt. Ihr sei bewusst gewesen,

„dass Umsatzsteuervoranmeldungen … für das Einzelunternehmen [des Ehemannes] aus Gründen der Verschleierung der gewerblichen Tätigkeit des Ehemannes … gerade nicht abgegeben werden durften.“

Das Ermittlungsverfahren wurde gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt. Später erließ das Finanzamt einen Haftungsbescheid gegenüber meiner Mandantin für Steuerschulden ihres Ehemannes über ca. 9.000 €, gestützt auf die Haftungsnorm § 71 AO. Aus den Feststellungen der Steuerfahndung und im Steuerstrafverfahren ergebe sich eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung.

Abhilfe im Einspruchsverfahren

Im Einspruchsverfahren machte ich für meine Mandantin geltend, es könne ja sein, dass das Verhalten meiner Mandantin die Tat ihres Ehemannes objektiv gefördert hat. Jedoch liege keine vorsätzliche Beihilfehandlung („Doppelvorsatz“) meiner Mandantin hinsichtlich einer Steuerhinterziehung vor.

Zu Hilfe kam mir dabei eine aktuellere Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom 11.02.2020, Az. 1 StR 119/19, deren Kernaussagen sich auf das vorliegende Haftungs- bzw. Einspruchsverfahren übertragen ließen: Die bloße Kenntnis der formellen Unternehmensinhaberin bzw. formellen Geschäftsführerin (meine Mandantin) davon, dass sie nur deshalb als formelle Inhaberin / Geschäftsführerin eingesetzt wurde, weil der faktische Inhaber / Geschäftsführer (ihr Ehemann) aufgrund der vorangegangenen Gewerbeuntersagung nicht mehr formeller Inhaber / Geschäftsführer sein konnte, reicht allein für den Vorsatz bei der Steuerhinterziehung nicht aus.

Daraus allein lasse sich nicht der Schluss ziehen, dass meine Mandantin billigend in Kauf nahm, ihr Ehemann werde seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht oder nicht hinreichend nachkommen. Zudem – auch das wird in der genannten BGH-Entscheidung angesprochen – bestand zwischen meiner Mandantin und ihrem Ehemann auch eine familiäre Vertrauensbeziehung, so dass meine Mandantin auch davon ausgehen konnte, ihr Ehemann werde seinen steuerlichen Verpflichtungen nachkommen und meine Mandantin nicht für Steuerstraftaten missbrauchen.

Daraufhin hob das Finanzamt den Haftungsbescheid im Einspruchsverfahren ersatzlos auf.

Praxis-Tipp

Für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung trägt das Finanzamt die objektive Beweislast (Feststellungslast). Lässt sich eine Steuerhinterziehung nicht feststellen, geht das zu Lasten des Finanzamtes.

Nach einer Einstellung des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gemäß § 153a StPO (z. B. gegen Zahlung einer Geldauflag) behaupten die Finanzämter mitunter, damit stehe auch eine Steuerhinterziehung fest. Das ist jedoch nicht korrekt. Vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung sind Verwaltungsbehörden und Gerichte daran gehindert, allein aufgrund der Zustimmung des Beschuldigten bzw. Angeklagten zur Einstellung nach § 153a StPO und der Einstellung selbst davon auszugehen, die vorgeworfene Tat sei nachgewiesen.

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