Oft wird mit dem Finanzamt darüber gestritten, ob und inwieweit einem Arbeitnehmer von dessen Arbeitgeber ein Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen wurde. Denn dies führt grundsätzlich zu einem als Lohnzufluss zu erfassenden Nutzungsvorteil beim Arbeitnehmer. Der Nutzungsvorteil ist entweder nach der Fahrtenbuchmethode oder der 1-%-Regelung zu bewerten (§ 8 Abs. 2 S. 2 bis 5 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG).
Die Finanzämter und auch die Finanzgerichte argumentierten häufig, wer als Arbeitnehmer über einen Dienstwagen verfüge – etwa für Kundenbesuche im Außendienst –, der nutze den Dienstwagen auch privat. Dafür spreche der Beweis des ersten Anscheins.
Dieser reflexartigen Behauptung schob der BFH bereits 2010 einen Riegel vor. Im Urteil vom 21.04.2010, VI R 46/08, BStBl II 2010, 848, heißt es, die Annahme eines Lohnzuflusses setze voraus,
… dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer tatsächlich einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hatte. Denn § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG begründet ebenso wenig wie § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG originär einen steuerbaren Tatbestand, sondern bewertet lediglich der Höhe nach einen Vorteil, der dem Grunde nach feststehen muss. … Der Ansatz eines lohnsteuerrechtlich erheblichen Vorteils rechtfertigt sich deshalb nur insoweit, als der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch gestattet, den Dienstwagen privat zu nutzen. Die unbefugte Privatnutzung des betrieblichen PKW hat dagegen keinen Lohncharakter. Denn ein Vorteil, den der Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers erlangt, wird nicht „für“ eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt und zählt damit nicht zum Arbeitslohn …
Die wichtigste Aussage des BFH ist diese:
Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann auch der Beweis des ersten Anscheins diese fehlende Feststellung nicht ersetzen. Denn der Anscheinsbeweis streitet nur dafür, dass ein vom Arbeitgeber zur privaten Nutzung überlassener Dienstwagen auch tatsächlich privat genutzt wird. Der Anscheinsbeweis streitet aber weder dafür, dass dem Arbeitnehmer überhaupt ein Dienstwagen aus dem vom Arbeitgeber vorgehaltenen Fuhrpark zur Verfügung steht, noch dafür, dass er einen solchen unbefugt auch privat nutzt. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist zwar typischerweise davon auszugehen, dass ein dem Arbeitnehmer auch zur privaten Nutzung überlassener Dienstwagen von ihm tatsächlich auch privat genutzt wird. Weiter reicht dieser allgemeine Erfahrungssatz aber nicht. Es gibt insbesondere keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass Fahrzeuge aus dem Fuhrpark des Arbeitgebers stets einem oder mehreren Arbeitnehmern zur privaten Nutzung zur Verfügung stehen und auch privat genutzt werden. … Das FG wird nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze den … Sachverhalt insbesondere dahingehend … aufzuklären haben, ob und welches Fahrzeug … auch zur privaten Nutzung arbeitsvertraglich oder doch mindestens auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung tatsächlich überlassen war.
Diese Entscheidung konkretisiert der BFH mit Urteil vom 06.10.2011, VI R 54/10, BFH/NV 2012, 400. Darin heißt es:
Ob und welches Fahrzeug einem Arbeitnehmer arbeitsvertraglich ausdrücklich oder doch mindestens auf Grundlage einer konkludent getroffenen Nutzungsvereinbarung auch zur privaten Nutzung überlassen ist, hat das FG aufgrund einer in erster Linie der Tatsacheninstanz obliegenden tatsächlichen Würdigung der Gesamtumstände festzustellen. … das FG hat den allgemeinen Erfahrungssatz, dass zur privaten Nutzung überlassene betriebliche Fahrzeuge auch privat genutzt werden, unzutreffend dahingehend ausgedehnt, dass der Anscheinsbeweis in allen Fällen greift, in denen einem Arbeitnehmer ein betriebliches Fahrzeug zur Verfügung steht. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats streitet der Anscheinsbeweis jedoch lediglich dafür, dass ein vom Arbeitgeber zur privaten Nutzung überlassener Dienstwagen auch tatsächlich privat genutzt wird. … Es lässt sich insbesondere kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts feststellen, dass Arbeitnehmer Verbote missachten und damit einen Kündigungsgrund schaffen oder sich – unter Umständen – gar einer Strafverfolgung aussetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht. … Allein die Nutzung eines betrieblichen Fahrzeugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begründet indessen noch keine Überlassung zur privaten Nutzung. … Das FG wird deshalb … den streitigen Sachverhalt … dahingehend … aufzuklären haben, ob … ein [Dienstwagen] … tatsächlich zur privaten Nutzung überlassen war. Erst wenn dies vom FG mit der erforderlichen Gewissheit festgestellt ist, kommt der Anscheinsbeweis zum Tragen, dass zur privaten Nutzung überlassene Kraftfahrzeuge auch tatsächlich privat genutzt werden.
Fazit: Ein als Lohnzufluss zu erfassender Nutzungsvorteil ist beim Arbeitnehmer nur dann anzusetzen, wenn der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer einen Dienstwagen tatsächlich auch zur privaten (Mit-)Benutzung überlassen hat. Dies setzt eine arbeitsvertragliche oder sonstige – auch durch schlüssiges Handeln begründete – Nutzungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus. Die Feststellungslast trifft insoweit das Finanzamt.
Rico Deutschendorf | Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht